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Vielfalt gründen – Zukunft gewinnen

Wirtschaftsexpertin Julia Scheerer fordert: jetzt die Bedingungen schaffen, damit mehr Frauen ihre Ideen verwirklichen können.

Porträt Wirtschaftsexpertin Julia Scheerer

"Wir können es uns nicht leisten, das Potenzial weiblicher Gründerinnen ungenutzt zu lassen. Mehr Diversität im Startup-Umfeld bedeutet nicht nur Chancengleichheit, sondern auch mehr Innovation und wirtschaftliche Dynamik“, sagt Julia Scheerer, Wirtschaftsexpertin der Bertelsmann Stiftung. Foto: Bertelsmann Stiftung

Um den Wirtschaftsstandort Deutschland offener, diverser und damit letztlich wettbewerbsfähiger zu machen, braucht es vor allem eins: mehr Frauen für mehr Startups. Das ist die zentrale Botschaft des Female Founders Monitors 2025: Aktuell ist der Gründerinnenanteil im Startup-Ökosystem auf unter 19 % gesunken. Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern ein Innovationshemmnis, findet Julia Scheerer, Wirtschaftsexpertin der Bertelsmann Stiftung. Die Stiftung hat die jährlich vom Startup-Verband herausgegebene Studie in diesem Jahr erstmals gefördert. 

Zugleich gibt es ermutigende Zahlen: mehr Investments in diverse Teams, mehr Gründerinnen mit Wachstumsideen, mehr sichtbare Vorbilder. Doch klar ist auch: Damit Gründung für alle möglich wird, braucht es bessere Bedingungen. Wie können wir Gründung attraktiver machen – gerade für Frauen? Welche strukturellen Hürden müssen wir abbauen, welche Vorbilder stärken? Und was muss sich im Bildungssystem ändern, damit unternehmerische Kompetenzen früh gefördert werden? Darüber hat die Geschäftsstelle Gründung in school des Bundeswirtschaftsministeriums mit Julia Scheerer gesprochen. 

 

Was ist aus Ihrer Sicht die größte neue Erkenntnis aus dem Female Founders Monitor?

Dass die strukturelle Unterrepräsentation von Frauen im Start-up-Ökosystem von vielen gar nicht als Problem wahrgenommen wird. So sind Frauen gerade bei technologie- und wachstumsorientierten Gründungen, also den eigentlichen Start-up-Gründungen, stark unterrepräsentiert. In den Bereichen Soloselbstständigkeit und Social Entrepreneurship sind sie dagegen deutlich überrepräsentiert. Fragt man jedoch Gründerinnen und Gründer, ob das Ungleichgewicht – etwa 80 Prozent Männer im Start-up-Bereich – ein Problem darstellt, verneinen es viele. Genau deshalb haben wir den diesjährigen Female Founders Monitor gefördert: Wir möchten sichtbar machen, welche strukturellen Hürden Frauen – aber auch andere unterrepräsentierte Gruppen – beim Gründen begegnen. Denn, wenn wir das volle Potenzial für Innovation in Deutschland heben wollen, müssen wir gezielt die Gruppen fördern, die bislang zu wenig mitgründen – allen voran Frauen. 
 

Welches sind denn die hartnäckigsten Hürden und Barrieren, die Frauen beim Gründen begegnen?

Eine zentrale Barriere ist das Fehlen weiblicher Vorbilder – wer sich selbst nicht im Gründungsnarrativ wiederfindet, fasst schwerer den Mut, diesen Weg zu gehen. Auch Netzwerke und Zugänge zu Finanzierungsmöglichkeiten wie Wagniskapital sind für Frauen nach wie vor deutlich schwieriger erreichbar. Zwar entstehen erste Female-Investment-Clubs und Programme wie „Exist Women“, doch sie bleiben im Volumen weit hinter dem, was männlich dominierte Gründerstrukturen bieten. Hinzu kommen gesellschaftliche Rahmenbedingungen: Die Vereinbarkeit von Familie und Unternehmertum ist nach wie vor ein weiblich besetztes Thema – viele Frauen übernehmen den Großteil der Care-Arbeit und empfinden eine Festanstellung als sicherer. Bremsend wirken aber auch die wirtschaftliche Unsicherheit sowie ein spezifisch deutsches Gründerbild, das eher die Risiken betont und weniger den Mut oder die Freude an der Selbstständigkeit. Dabei liegt genau hier ein enormes Potenzial: Frühzeitige Gründungserfahrungen fördern Future Skills wie Kreativität, Resilienz und unternehmerisches Denken – Kompetenzen, die nicht nur für Start-ups, sondern auch für Unternehmensnachfolgen entscheidend sind.
 

Was fehlt aktuell im deutschen Bildungssystem, wenn es um die Förderung unternehmerischer Kompetenzen bei jungen Menschen geht – speziell bei Mädchen?

Es fehlt vor allem an vielfältigen Vorbildern und an praktischen Erfahrungsräumen. Stattdessen reproduzieren Schulbücher stereotype Rollenbilder – die Frau als Pflegerin etwa, als Ärztin oder als Dienstleisterin. Ganz absehen davon, dass insgesamt ein tendenziell negatives Bild von Unternehmertum gezeichnet wird: der Unternehmer, der nicht pro-Mensch ist, sondern die Ressourcen ausbeutet. Da gilt es anzusetzen und deutlich diversere Vorbilder zu schaffen, etwa eine Unternehmerin zeigen oder eine Person mit Migrationserfahrung, die von vornherein deutlich internationaler gründet. Hinzukommt, dass das deutsche Bildungssystem insgesamt stärker auf die Wissensvermittlung und weniger auf die Kompetenzvermittlung setzt.
 

Was braucht es also im Bildungssystem, um mehr junge Menschen schon in Schule und Studium zum Gründen zu ermutigen?

Fächerübergreifende Projektformate, in denen Schülerinnen und Schüler unternehmerisches Denken aktiv ausprobieren können. Warum nicht eine Unternehmensgründung als Projektarbeit aktiv und als feste Größe in den Lehrplan einbeziehen? Dabei erfahren Jugendliche, was es heißt unternehmerische Verantwortung zu übernehmen. Sie erleben, dass sie mit Unternehmertum etwas bewegen können; dass sie Herausforderungen kreativ und lösungsorientiert angehen müssen, um ihre Produkte flexibel auf den Markt und an die Kunden zu bringen. Auch im Studium wäre es sinnvoll, die Grundlagen unternehmerischer Selbstständigkeit zu vermitteln – nicht mit dem Ziel, alle zu Gründerinnen und Gründern zu machen, sondern um Optionen aufzuzeigen und damit Potenziale zu heben. Und ganz wesentlich: Es braucht weibliche Role Models, die sichtbar sind und Mädchen und jungen Frauen Mut machen. Dafür müssen diese Vorbilder aber auch die Kapazität haben, sich einzubringen – etwa durch Mentoring oder Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen. Das bedeutet auch, sie angemessen zu entlohnen oder ihnen diese Aktivitäten im Arbeitskontext zu ermöglichen. Sichtbarkeit darf kein unbezahlter Zusatzjob sein.
Und ganz persönlich: Welche Botschaft möchten Sie jungen Frauen mitgeben, die aktuell mit dem Gedanken spielen, zu gründen – aber noch zögern? 
Ausprobieren und einfach machen. Auf jeden Fall bekommt ihr einen Schatz an Erfahrungen, Wissen und Kompetenzen, mit dem ihr euch danach ganz anders präsentieren könnt, wenn es um zukünftige Jobs geht.


Über den Female Founders Monitor (FFM):

Der Female Founders Monitor ist die zentrale Studie des Startup-Verbands zur Rolle von Gründerinnen im deutschen Startup-Ökosystem. Sie erscheint jährlich und wurde in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung veröffentlicht. Die Studie analysiert die Situation von Gründerinnen in Deutschland, beleuchtet bestehende Geschlechterungleichheiten und trägt dazu bei, strukturelle Herausforderungen sichtbar zu machen. Grundlage der aktuellen Ausgabe sind Befragungen von mehr als 1.800 Gründerinnen und Gründer sowie über 1.000 Studierenden bundesweit.
Hier geht es zum Female Founders Monitor 2025.
 

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