Gründen in Deutschland: jung, weiblich, vielfältig

Dr. Natalia Gorynia-Pfeffer, Projektleiterin im Fachbereich Gründung beim RKW Kompetenzzentrum, setzt sich für mehr Vielfalt und Chancengleichheit in der deutschen Gründungsszene ein. Foto: RKW Kompetenzzentrum/Frank Rumpenhorst
Deutschland erlebt ein neues Hoch in Sachen Gründungsbereitschaft. 9,8 Prozent der 18- bis 64-Jährigen haben in den letzten dreieinhalb Jahren ein Unternehmen gegründet oder konkrete Schritte dahin unternommen. Das zeigt der aktuelle Global Entrepreneurship Monitor (GEM) Länderbericht, den das RKW Kompetenzzentrum im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWE) gemeinsam mit dem Johann Heinrich von Thünen-Institut für Innovation und Wertschöpfung in ländlichen Räumen jetzt vorgestellt hat. Besonders auffällig: Der Gründungsgeist kommt zunehmend von jungen Erwachsenen und Frauen. 2024 waren bereits 43 von 100 Gründungspersonen weiblich – ein Rekordwert. Auch der Anteil technologieorientierter Gründungen wächst.
Doch trotz dieser Dynamik bleibt Unternehmertum in Deutschland kein Selbstläufer. Gesellschaftliche Hürden, fehlende Vorbilder und ungleiche Startchancen bremsen viele Talente aus. Was braucht es, damit Unternehmertum für alle zur echten Perspektive wird – ob im Hörsaal, im Handwerksbetrieb oder im ländlichen Raum? Welche Rolle spielen dabei Schule, Mentoring und gezielte Förderung?
Darüber haben wir mit Dr. Natalia Gorynia-Pfeffer gesprochen, Projektleiterin im Fachbereich Gründung beim RKW Kompetenzzentrum – über Vielfalt, Chancengleichheit und die Kraft, früh zu beginnen.
Was sind für Sie die zentralen Erkenntnisse aus dem neuen GEM-Länderbericht 2024/2025 – besonders mit Blick auf junge Menschen und Gründung?
Die Gründungsquote in Deutschland liegt mit 9,8 Prozent auf einem Rekordhoch – so hoch war sie seit Beginn des GEM im Jahr 1999 noch nie. Damit setzt sich der Aufwärtstrend der letzten Jahre fort. Besonders erfreulich: Immer mehr Frauen gründen. Ihre Quote ist auf 8,5 Prozent gestiegen – ein Plus von 2,6 Punkten im Vergleich zum Vorjahr. Der Gendergap schrumpft sichtbar: 2024 waren 43 von 100 Gründenden weiblich, 2023 waren es noch 38.
Auch junge Menschen treiben das Gründungsgeschehen: Die aktivste Gruppe sind die 25- bis 34-Jährigen mit einer Quote von 16,5 Prozent – ein deutlicher Anstieg seit 2019. Auch die 18- bis 24-Jährigen zeigen mit 12,9 Prozent eine hohe Dynamik. Diese Altersgruppen prägen den aktuellen Gründungsboom wesentlich mit.
Wie hat sich das Gründungsklima in Deutschland seit der letzten Erhebung verändert – und wie beurteilen Sie das im internationalen Vergleich?
Das Gründungsklima in Deutschland wird insgesamt stabil bis leicht verbessert eingeschätzt. Positiv hervorgehoben werden vor allem die öffentliche Förderung, unternehmensbezogene Services und die physische Infrastruktur. Auch die außer¬schulische Gründungsausbildung – etwa an Hochschulen – wird inzwischen besser bewertet als in den Vorjahren.
Weniger gut schneiden dagegen die Finanzierungsmöglichkeiten und der Wissens- und Technologietransfer ab. Die größten Schwächen sehen die befragten Expertinnen und Experten aber bei den gesellschaftlichen Einstellungen gegenüber Gründung – und bei der schulischen Gründungsausbildung. Hier besteht klar Nachholbedarf.
Im internationalen Vergleich liegt Deutschland im soliden Mittelfeld: Der NECI-Wert – also der Index zur Bewertung der gründungsbezogenen Rahmenbedingungen – liegt 2024 bei 4,7. Damit steht Deutschland auf Platz 9 von 24 Ländern mit hohem Einkommen, direkt hinter Frankreich und Österreich. Spitzenreiter sind Litauen, Südkorea und Estland – Länder mit besonders gründungsfreundlichen Bedingungen.
Was brauchen junge Menschen, um sich das Gründen zuzutrauen – und wie kann Schule sie dabei stärken?
Viele junge Menschen interessieren sich für das Gründen, doch nur knapp 29 Prozent der 18- bis 24-Jährigen trauen sich laut GEM das nötige Wissen und die Erfahrung zu. Was fehlt, ist weniger der Mut als der Zugang: Wer aus einem unternehmerischen Umfeld kommt, hat oft Vorbilder und lernt Gründungsdenken nebenbei.
Umso wichtiger ist es, dass Schule hier gezielt ansetzt – mit Entrepreneurship Education, die Kreativität, Eigeninitiative und Risikobereitschaft fördert. Wettbewerbe und praxisnahe Projekte machen Unternehmertum erlebbar und eröffnen neue berufliche Perspektiven.
Gleichzeitig braucht es finanzielle Sicherheit, leichten Zugang zu Wagniskapital, Mentoring und inspirierende Vorbilder – gerade für junge Menschen ohne Gründungserfahrung. Studien wie der Young Founders Monitor zeigen: Passgenaue Angebote, die unterschiedliche Lebensrealitäten berücksichtigen, sind entscheidend, um das vorhandene Potenzial wirklich zu aktivieren.
Laut GEM gründen junge Menschen mit Einwanderungsgeschichte überdurchschnittlich häufig. Wie können Bildungseinrichtungen und Initiativen sie gezielter unterstützen?
Viele migrantische Gründerinnen und Gründer sind sehr jung – und bringen oft viel Tatkraft und unternehmerisches Potenzial mit. Umso wichtiger ist es, ihnen den Zugang zur Selbstständigkeit so niedrigschwellig wie möglich zu machen. Das beginnt bei unbürokratischen Regelungen, etwa bei der Anerkennung von Bildungsabschlüssen – und reicht bis zu gezielten Angeboten im Bildungssystem.
Besonders vielversprechend sind dabei Konzepte wie die Talentschulen: also besonders ausgestattete Schulen in Stadtteilen mit sozialen Herausforderungen. Dort wird ganz konkret daran gearbeitet, Bildungserfolg von sozialer Herkunft zu entkoppeln – mit Sprachförderung, Potenzialorientierung und individueller Stärkung.
Gleichzeitig braucht es mehr Angebote zur Entrepreneurship Education – nicht nur in Schulen, sondern auch in Hochschulen und der beruflichen Ausbildung. So lassen sich unternehmerisches Denken und Handeln gezielt fördern und die Gründungsmotivation junger Menschen mit Einwanderungsgeschichte nachhaltig stärken.
Seit dem Start des GEM liegen die Gründungsaktivitäten von Frauen unter denen der Männer. Wie lassen sich junge Frauen gezielt fürs Gründen gewinnen?
Ein wichtiger Hebel sind die Hochschulen: Der Akademikerinnenanteil unter Gründerinnen ist deutlich höher als bei Gründern – ein Zeichen dafür, dass gerade Studentinnen großes Potenzial mitbringen. Programme wie EXIST-Women setzen hier an und bieten frühe Orientierung rund ums Thema Gründung.
Gleichzeitig braucht es mehr Sichtbarkeit und gezielte Ansprache – besonders bei Frauen, die bisher keinen Bezug zum Thema hatten. Das RKW-Projekt „Frauen für das Thema Gründung gewinnen“ zeigt mit konkreten Ideen, wie das gelingen kann. Denn oft fehlt nicht das Potenzial, sondern der erste Impuls.
Und: Frauen sind in technologieintensiven Branchen weiterhin stark unterrepräsentiert. Um das zu ändern, muss schon in der Schule angesetzt werden – besonders im MINT-Bereich, wo Mädchen oft systematisch ihre Kompetenzen unterschätzen. Wer hier früh fördert, stärkt nicht nur das Selbstvertrauen, sondern auch die Vielfalt künftiger Gründungen.
Was ist der Global Entrepreneurship Monitor?
Der Global Entrepreneurship Monitor ist weltweit die einzige Datenquelle, die einen räumlichen und zeitlichen Vergleich der Gründungsquoten vieler Länder in allen Kontinenten ermöglicht. Seit 1999 werden in über 50 Ländern jährlich Daten zur Gründungsaktivität und Gründungseinstellung erhoben. Im Rahmen des Global Entrepreneurship Monitors werden Gründungen in Deutschland durch das RKW Kompetenzzentrum in Kooperation mit dem Johann Heinrich von Thünen-Institut für Innovation und Wertschöpfung in ländlichen Räumen untersucht.
Zum aktuellen GEM-Länderbericht und weiteren Publikationen:
- www.gem-deutschland.de
- http://rkw.link/frauen
- https://www.rkw-kompetenzzentrum.de/publikationen/studie/young-founders-monitor/